„Wir müssen die Plastikproblematik ganzheitlich betrachten“
von Mona El Attar
Die Nachwuchsgruppe „PlastX“ hat dem Einwegplastik den Kampf angesagt: v.l.n.r.: Johanna Kramm, Heide Kerber, Carolin Völker, Tobias Haider, Lisa Zimmermann, Lukas Sattlegger. Quelle: privat | Autor: privat
Dr. Carolin Völker leitet zusammen mit Johanna Kramm die Nachwuchsgruppe PlastX am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Mit uns spricht die promovierte Biologin und Ökotoxikologin über die Verantwortung der Gesellschaft, des Handels und der Politik, gelernte Routinen und darüber, warum Biokunststoffe auch keine Lösung sind.
Ein Forscherteam des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung hat herausgefunden, dass bis zu 20 Prozent des Plastiks durch Flüsse in die Meere eingetragen wird. Zehn Flüsse gelten hierbei als hauptverantwortlich. Die meisten von ihnen liegen in Asien. Warum dürfen wir uns in Europa trotzdem nicht aus der Verantwortung ziehen?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist der pro Kopfverbrauch von Einwegplastik in den europäischen Ländern viel höher als der in Asien. Wir produzieren also viel mehr Müll, bemerken das jedoch meistens nicht, denn – und hier kommen wir zum zweiten Grund – wir lassen unseren Abfall in vielen asiatischen Ländern „verschwinden“. Der Export von Abfall ist ein weltweites Geschäft, trifft jedoch leider auf ein oft sehr löchriges Abfallentsorgungssystem in den Zielländern. Trotzdem rühmen wir uns in Europa für unsere Recyclingquoten, zu denen auch die Exporte zählen, obwohl wir nicht genau wissen, ob der Plastikmüll in Asien tatsächlich recycelt wird oder in den Flüssen landet. Das ist auch das Hauptproblem, das wir neben unserem hohen Plastikkonsum haben: Wir kümmern uns nicht bis zum Ende um den Müll, den wir produzieren.
Und was ist mit dem Plastikmüll, der in Asien vor Ort produziert wird?
Auch an dem haben wir eine Teilschuld. Denn viele nordamerikanische und europäische Großkonzerne haben ihre Produktionsstätten in Asien. Das heißt, auch sie speisen das ohnehin schon belastete Abfallentsorgungssystem des Produktionslandes. Und dann spielt auch der Tourismus eine große Rolle. Viele Länder, die ein „Müllproblem“ haben, sind Urlaubsländer. Als Tourist denkt man oft nicht dran, dass man im Urlaub überdurchschnittlich viel Müll produziert, den man eigentlich vermeiden könnte.
Dann sehen Sie die Einweg-Plastikverpackungen als die größte Quelle für die Plastikverschmutzung?

Dr. Carolin Völker leitet zusammen mit Dr. Johanna Kramm die Nachwuchsgruppe „PlastX“ am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Quelle: privat | Autor: Dr. Carolin Völker
Ja, auf globaler Ebene auf jeden Fall. Aber natürlich ist das nicht die einzige Quelle. Nach und nach rücken Reifenabrieb, Kunststoffbeläge und Co. in die Aufmerksamkeit der Menschen. Dieser ganze „Stadtstaub“, wie ich ihn nenne, bestehend aus den Partikeln, die sich aus Lacken, Baustoffen und anderen Materialien lösen, belastet auch in Deutschland die Flüsse.
Wie hoch ist die Mikroplastikbelastung in deutschen Fließgewässern?
Einzelne Messungen haben ergeben, dass in verschiedenen Flüssen höchstens 0,2 Partikel Mikroplastik auf einen Liter Wasser kommen. Auch wenn die Belastung noch nicht sehr groß erscheint, konnte mit diesen Messungen nachgewiesen werden, dass das Mikroplastik seinen Weg in unsere Gewässer gefunden hat. Und unser erstes Ziel sollte sein, zu verhindern, dass die Belastung höher wird. Indem wir alle Quellen identifizieren und überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, den Eintrag von Plastik in die Umwelt zu vermeiden.
Ihre Forschungsgruppe PlastX nimmt unter anderem Alternativen zu Kunststoffverpackungen unter die Lupe. Was ist Ihr Eindruck der sogenannten Biokunststoffe?
Es gibt im Grunde keine Einwegverpackung, die eine gute Alternative ist. Denn die Produktion jeder Verpackung verbraucht Energie und Ressourcen. Der nachhaltigste Weg wäre, im Alltag kein Einwegplastik zu nutzen.
Was sind Biokunststoffe?
Als Biokunststoffe werden unterschiedliche Arten von Kunststoffen bezeichnet, die entweder biologisch abbaubar oder biobasiert, manchmal auch beides sind.
Biologisch abbaubare Kunststoffe können von Mikroorganismen unter natürlichen Bedingungen verwertet und somit abgebaut werden. Allerdings hängt dieser Abbauprozess stark von den Umweltbedingungen ab, weshalb nicht garantiert ist, dass diese Form des Biokunststoffs abgebaut werden kann, sobald er nicht sachgemäß entsorgt wird.
Biobasierte Kunststoffe bestehen ganz oder teilweise aus Biomasse, beispielsweise aus Kartoffelstärke. Für ihre Herstellung wird anders als beim konventionellen Kunststoff kein Erdölverwendet.
Also zu verzichten.
Ich möchte gar nicht sagen, dass man verzichten muss. Sondern man sollte vielmehr sein eigenes Verhalten auf den Prüfstand stellen. Ein Beispiel: Für manche ist der Morgenkaffee ein Muss. Ich bin da keine Ausnahme. Aber anstatt ihn in einem Coffee-To-Go-Becher zwischen Tür und Angel auf dem Weg in die Arbeit zu trinken, nehme ich mir inzwischen Zeit für meinen Kaffee. Entweder trinke ich ihn gemütlich bei mir zu Hause oder an meinem Schreibtisch. Und diese Viertelstunde gönne ich mir. Damit habe ich nicht verzichtet, sondern nur eine Gewohnheit verändert. Und die tut mir nicht weh, sondern sogar richtig gut. Diese Routine, die für uns im ersten Moment vielleicht nicht in unser schnelles Leben passt, kann mit der Zeit ganz selbstverständlich werden. Andersherum ist es ja schon passiert: Vor dem Zweiten Weltkrieg hoben die Menschen alles auf, reparierten es und verwendeten es wieder. Als dann in den 1950er-Jahren der Kunststoff als Massenware Einzug hielt, haben die Menschen erst gar nicht verstanden, warum sie Verpackungen wegwerfen sollten. Man hat damit geworben, dass Plastik den Haushalt erleichtern würde. Und mit der Zeit haben wir dieses Verhalten gelernt. Und genauso können wir lernen, es wieder anders zu machen.
Aber warum haben wir es noch nicht gelernt? Warum kaufen wir immer noch Produkte, die in Plastik verpackt sind?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist das Angebot von unverpackten Lebensmitteln ein Nischenangebot. Große Handelsketten setzen die Vermeidung von Einwegverpackungen nicht konsequent um, denn sie wollen ja auch die Zielgruppe ansprechen, die nicht so auf Nachhaltigkeit achtet. Ein Beispiel hierfür sind die Papiertüten, die für die Plastiktüten zum Einsatz kommen. Zwar baut sich eine Papiertüte schneller ab, aber sie verbraucht auch Ressourcen und ist aufwändig zu produzieren. So eine Doppelmoral sieht man leider häufiger bei den großen Supermarktketten. Und solange sie den Nachhaltigkeitsgedanken nicht konsequent umsetzen, wird sich auch das Verhalten des Verbrauchers nicht ändern.

Sie fallen kaum auf: Kleine abgepackte Marmeladen, portionierte Butter in Plastikpackungen. Gerade im Urlaub verbrauchen wir oft überdurchschnittlich viel Müll. Quelle: www.pexels.com | Autor: lamngakan eka
Also sehen Sie hauptsächlich den Handel in der Verantwortung, uns „umzuerziehen“?
Es wäre falsch, nur einem den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wir tragen alle die Verantwortung. Der Konsument in seinem Verhalten, der Handel in seinem Angebot und die Produzenten ganz stark in puncto Transparenz. Denn der Konsument findet sich immer mehr in der Rolle wieder, selbst herausfinden zu müssen, wie die Wertschöpfungskette der Produkte aussieht. Wo und wie wurde das Produkt produziert? Was ist darin alles enthalten? Wie wurde es transportiert und wie wurde es verpackt? Diese Ungewissheit sollte die Politik dem Konsumenten abnehmen, indem sie für klare Regeln und damit mehr Transparenz bei all diesen Fragen sorgt. Deshalb ist diese ganze Nachhaltigkeitsdebatte für mich ein sehr politisches Thema. Und man kann mittlerweile auch erkennen, wie der Druck auf die Politik wächst. Die Menschen sind sensibilisiert und befeuern die Debatten und damit auch den Wandel: Politik, Firmen und Handel geraten unter Reputationsdruck. Forschungen wie unsere gestalten diesen gesellschaftlichen Diskurs mit. Wir nehmen Alternativen wie Biokunststoffe unter die Lupe, analysieren das Verhalten und die Gewohnheiten der Konsumenten und des Handels und untersuchen die Auswirkungen von Einwegprodukten auf unsere Gesundheit und Umwelt. Diese ganzheitliche Betrachtung ist notwendig, um ein Verständnis für die Problematik zu bekommen. Nur so können wir klare Handlungsempfehlungen herausgeben und tatsächlich nachhaltig etwas ändern.