Die „Ocean Cleanup“-Story geht weiter
von Lukas Koch
Die Öffentlichkeit umschwärmt den charismatischen jungen Niederländer Boyan Slat und feiert seine innovative Idee. Quelle: https://theoceancleanup.com | Autor: The Ocean Cleanup
Boyan Slat ist noch ein Teenager als 2013 auf Kickstarter die Kampagne für sein ambitioniertes Projekt zur Befreiung der Meere vom Plastikmüll anläuft. Mit einer Spezialkonstruktion, die wie ein Fangnetz ausgelegt wird, möchte er den „Great Pacific Garbage Patch“ dezimieren, den größten Müllstrudel der Welt. Sein Projekt „The Ocean Cleanup“ sammelt über die Jahre 40 Millionen Dollar. Die Hoffnungen sind groß. Und werden bei Inbetriebnahme des ersten fertigen Geräts enttäuscht: Es funktioniert nicht. Slat gibt nicht auf. Mittlerweile hat er einen zweiten Versuch gestartet. Ein Überblick.
Als der Niederländer Boyan Slat mit 16 Jahren zum Tauchen an die Küste Griechenlands reist, hofft er auf türkisblaues Wasser mit weiß leuchtenden Korallenriffen und einer bunten Tierwelt. Was er noch nicht weiß: Dieser Tauchgang wird sein Leben verändern und ihn sogar zum Abbruch seines Studiums bewegen. Denn statt einer beeindruckenden Artenvielfalt begegnen ihm Plastiktüten und Kunststoffreste. Ein schockierendes Erlebnis, das ihn motiviert, den Kampf gegen die Verschmutzung der Meere aufzunehmen. Vier Jahre später sammelt seine Crowdfunding-Kampagne mehr als zwei Millionen Dollar und wird damit eine der erfolgreichsten Non-Profit-Kampagnen aller Zeiten.
Gigantische Müllstrudel in den Meeren
Wo einst das Leben seinen Anfang nahm, befindet sich heute die größte Müllkippe der Welt. Von etwa 78 Millionen Tonnen gebrauchten Plastikverpackungen gelangen Schätzungen zufolge 32 Prozent unkontrolliert in die Umwelt. Ein Teil davon wird anschließend über die Flüsse aus dem Landesinneren in die Meere transportiert. Auf hoher See tragen derweil die Schifffahrt und die Fischerei ebenfalls nicht unerheblich zu diesem Abfall bei. Dies führt zu einem jährlichen Zuwachs von etwa acht Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren.
Ist der Plastikmüll erst einmal im Wasser, tritt er durch die Strömungen eine Reise an, die ihn oft zu einem der fünf größten Müllstrudel der Welt führt. Der ausgedehnteste von ihnen ist der sogenannte „Great Pacific Garbage Patch“ im Nordpazifik. Der gigantische Müllstrudel fasst etwa 79.000 Tonnen Kunststoffüberreste. Drei Viertel der Gesamtmasse sind Kunststoffteilchen, die größer als fünf Zentimeter sind. Viele davon befinden sich nahe an der Wasseroberfläche.
Diesem unerwünschten Treibgut möchte Boyan Slat zu Leibe rücken. Der Plan des Niederländers ist kein geringerer, als die Weltmeere von einem großen Teil des im Meer umhertreibenden Plastiks zu befreien. Nachdem er 2013 sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik abbricht, gründet er sein Unternehmen „The Ocean Cleanup“, um sich von da an ganz der Säuberung der Ozeane widmen zu können. Zu diesem Zeitpunkt ist Boyan Slat gerade mal 18 Jahre alt. Mittlerweile hat das Unternehmen mehr als 80 Angestellte, und im Oktober 2018 konnte das erste System im „Great Pacific Garbage Patch“ seinen Betrieb aufnehmen.

Regelmäßig wird mit einem Schiff überprüft, ob das System funktioniert. Irgendwann wird klar: Der erste Modelltyp ist gescheitert. Quelle: https://theoceancleanup.com/ | Autor: The Ocean Cleanup
Die „Ocean Cleanup”-Vision
Die Idee hinter dem Aufräumsystem ist einfach: Man baut ein künstliches Ufer, konzentriert das Plastik im Zentrum davon und fischt es dann heraus. Das System selbst besteht aus zwei Hauptkomponenten: Der 600 Meter lange Schwimmer liegt in V-Form auf der Wasseroberfläche. Er sorgt für den nötigen Auftrieb und dafür, dass Kunststoff nicht über das System hinweg fließt. An dem Schwimmer, aber unter Wasser, hängt ein feinmaschiges Netz, das verhindert, dass Müll unter dem System wieder austritt.
Da das System nicht im Boden verankert ist, wird es von Strömung, Wind und Wellen ebenso angetrieben wie der Plastikmüll. Allerdings bewegt sich das System schneller als der Müll, weil sich der Schwimmer über Wasser und das Plastik vorwiegend darunter befindet. Auf diese Weise soll sich das eingefangene Treibgut in der Mitte der Konstruktion sammeln, von wo es auf Schiffe geladen und an Land recycelt werden kann.
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Volle Kraft voraus
Schon vor dem Scheitern des ersten Versuchs gibt es viele Kritiker des Projekts. Unter anderem von Umweltschützern, die darin eine Bedrohung für die Meeresbewohner und die Meeresökologie sahen, aber auch an der Effektivität der Methode. „50 Prozent des Mülls aus dem Meer zu beseitigen, ist meiner Ansicht nach völlig unrealistisch, denn er zielt ja auch nur auf den Müll ab, der an der Oberfläche treibt. Man geht davon aus, dass das nur ein Prozent des Mülls ist, der in unseren Ozeanen schwimmt“, so die Meeresbiologin Dr. Melanie Bergmann von Alfred-Wegner-Institut gegenüber dem MDR. „Der Großteil ist wahrscheinlich längst in tiefere Schichten oder gar bis zum Meeresboden abgesunken.“
Überhaupt sammelt die Anlage nur Plastikteile, die größer sind als 20 Millimeter. Kein Mikroplastik also. Einmal im Wasser, bleibt Kunststoff nicht in seiner ursprünglichen Form. Durch Umwelteinflüsse wie Sonneneinstrahlung und Wasserbewegung brechen Teile ab und es kommt zu winzigen Abrieben, dem Mikroplastik. Viel davon sinkt in tiefere Meeresschichten ab und liegt damit außerhalb der Reichweite von Projekten wie „The Ocean Cleanup“. So verbleibt Plastik in den Ozeanen. Fische, Säugetiere und Vögel verwechseln diese Teilchen mit Nahrung und nehmen sie auf. Auf diese Weise gelangen Kunststoffe auch in die Nahrungskette des Menschen.
Zu der herrschenden Kritik am Ozeanreinigungsprojekt gesellte sich dann im November 2018 die Meldung vom Scheitern des ersten Anlaufs. Denn das Plastik, das die Anlage eingesammelt hatte, wurde direkt wieder herausgetrieben. Das Team vermutete, dass das Problem darin bestand, dass sich das von Wind und Wellen angetriebene, leichte Plastik doch schneller durch das Wasser bewegt als das System. Außerdem zerbrach einer der Ausleger aufgrund von Materialermüdung.
Statt aufzugeben, machten sich Boyan Slat und das „The Ocean Cleanup“-Team an die Überarbeitung ihres Konzepts. Das System 001/B wurde kleiner und leichter. So wird auch weniger Elektronik benötigt. Das Unterwassernetz wird nun einfach an den schwimmenden Armen befestigt – vorher war es fest verschweißt. Das neue System ist außerdem modular aufgebaut und so flexibler im Einsatz. Nach einem Jahr Testphase ist klar: Der Prototyp zeigt erste Erfolge. Mit System 002 will das Team nun dem Plastikmüll endgültig zu Leibe rücken.
„The Ocean Cleanup“ wird nicht das Allheilmittel im Kampf gegen den Plastikmüll sein. Es braucht genauso dringend mehr und vor allem effektive Präventionsmaßnahmen, um die Plastikkrise zu stoppen. Trotzdem können Ideen wie die von Boyan Slat einen Anfang darstellen. Durch das stete Arbeiten und Feilen an neuen Lösungsansätzen kann mit vereinten Kräften und trotz Rückschläge gegen die Müllstrudel vorgegangen werden.
Aktualisiert: 08.10.2019
Quellen:
- https://theoceancleanup.com/press/press-releases/the-ocean-cleanup-successfully-catches-plastic-in-great-pacific-garbage-patch/
- https://www.nature.com/articles/s41598-018-22939-w
- https://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/plastik/unsere-ozeane-versinken-im-plastikmuell/
- https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2018-07/plastik-meer-tiefsee-nordpazifik-muellstrudel-oekosystem
- https://www.derbrutkasten.com/the-ocean-cleanup-plastik-meer/?xtor=CS1-15
- https://de.wikipedia.org/wiki/Plastikmüll_in_den_Ozeanen
- https://diepresse.com/home/ausland/welt/5485836/Muellkippe-Meer-und-der-Traum-vom-plastikfreien-Ozean
- https://www.mdr.de/wissen/wie-wirksam-ist-the-ocean-cleanup-100.html
- https://www.heise.de/tp/news/Gigantische-Plastikmuellhalde-im-Meer-2027703.html
- https://www.tt.com/ticker/15058430/ocean-cleanup-startete-trotz-anfangsproblemen-recht-praechtig
- https://www.theoceancleanup.com/
- http://www.pnas.org/content/early/2014/06/25/1314705111
- https://www.eurekalert.org/pub_releases/2014-06/snrc-atw063014.php
- https://www.careelite.de/muellstrudel-im-meer/
- https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/ocean-cleanup-zweiter-versuch-von-boyan-slat
- https://reset.org/blog/ocean-cleanup-ist-gescheitert-vorerst-wie-geht-es-weiter-01162019