Mein Müll an weißen Stränden
von Mona El Attar
Die Karibik verheißt klares Meer und weiße Sandstrände. Oftmals ist das das Einzige, was wir Touristen sehen wollen. Quelle: http://palmundenke.de/ | Autor: Mona El Attar
Vermüllte Straßen, überall Staub, Armut und Smog. Diese Bilder habe ich schnell vor Augen, wenn ich „Schwellenland“ höre. Eine Reise in die Dominikanische Republik hat mich vor allem dazu gebracht, mein Bild von Europa zu hinterfragen. Schluss mit Luxusurlaub zum Schnäppchenpreis?
Wer am Flughafen in Punta Cana ankommt, wird gleich in eine in Watte gepackte, gastfreundliche Komfortzone verfrachtet. Das Empfangskomitee: ein bestens ausgebildeter, deutschsprechender Reiseleiter, eine gepflegte Hotelanlage und Bungalownachbarn aus Deutschland. Wenn man will, vergisst man leicht, wo man sich befindet. Alleine der weiße Strand, die Sonne, die Palmen und das türkisfarbene Meer erinnern einen daran, dass man nicht zu Hause ist.
Bilder im Kopf
Doch irgendwann treibt es einen eben nach draußen. Vor die Tore der Hotelanlage. Nur in Grüppchen, versteht sich, am besten noch mit Guide, nicht dass man verloren geht. Und dann rauschen die ersten Bilder an unserem klimatisierten Reisebus vorbei, und es fällt mir wieder ein: „Ach ja stimmt, ich bin ja in der Dominikanischen Republik“. Und die ist eben nicht nur türkisfarben.

Ganz gleich ob auf Wiesen oder am Straßenrand: Überall liegen Plastikverpackungen und -flaschen herum. Quelle: http://palmundenke.de/ | Autor: Mona El Attar
Die Straßen sind gesäumt von weggeworfenen Plastiktüten, -flaschen und -behältern. Autoreifen, Kisten, Geschirr, ganze Autowracks – es gibt kaum etwas, das nicht an den Straßenrändern liegt. Alte Motorräder, manchmal mit bis zu vier Personen darauf, kreuzen unseren Weg, heruntergekommene Häuser schauen uns aus brüchigen Fensterläden traurig an. Ein Mitreisender sagt laut: „Also ich könnte so ja nicht leben.“ Und so fährt in diesem klimatisierten Bus auch immer ein bisschen die Scheinheiligkeit mit. Befinden wir uns auf einer Gratwanderung zwischen der vermeintlichen Samariter-Figur, die in ihrem Zwei-Wochen-Karibikurlaub Geld in das arme Land bringt, und den Europäern, die nicht umhin kommen, sich ein bisschen überlegen, auch privilegiert zu fühlen, während sie Sonne satt zum Spottpreis genießen können.
Ein Schritt Richtung Umweltschutz
Ich reiße sie mir also runter, die Touristen-Brille und will ins Gespräch kommen mit den Einheimischen. Ich frage unseren dominikanischen Guide nach dem Müll auf den Straßen und in der Natur. „Der Umgang der Einwohner mit Müll ist eines der großen Probleme der Dominikanischen Republik“, sagt er. Zwar sei die Aufklärung über die richtige Müllentsorgung inzwischen Teil der Lehrpläne an den Schulen, doch spätestens im Erwachsenenalter nehme die Relevanz des Themas Umweltschutz für die meisten ab. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die betroffenen Länder drängendere Probleme zu bewältigen haben, denke ich mir. Ein nachhaltiges Verantwortungsbewusstsein zu etablieren, wenn große Armut und Kriminalität herrscht, ist schwierig, mutmaße ich.

Dicht an dicht stehen die Häuser hier. Sogar in ehemaligen Gassen finden noch einfache Holzhäuschen Platz. Quelle: http://palmundenke.de/ | Autor: Mona El Attar
„Doch die Dominikanische Regierung hat ein neues Gesetz erlassen“, unterbricht unser Guide meine Spekulationen. „Es stellt die Entsorgung von Müll in der Öffentlichkeit mit bis zu 1.000 Dollar unter Strafe – für viele Dominikaner ist das ein Vermögen.“ Auch an anderer Front kämpft die dominikanische Regierung gegen den Plastikmüll, ergibt meine abendliche Recherche: Der amtierende Umweltminister Angel Estevez ist mit Großhandelsketten seines Landes im Gespräch darüber, wie sich der Kunststoffverbrauch reduzieren lässt. In Erwägung gezogen wird ein Verbot von Plastiktüten und unnötiger Plastikverpackungen. Mit dem erst im Frühjahr 2019 in Straßburg erlassenen Verbot von Einweggeschirr und Strohalmen aus Plastik ist die EU ehrlicherweise nur minimal im Vorsprung, finde ich.
Dem Mensch (ist) die Stabilität eines auf welche Art immer zu Stande gekommenes Weltbild so wichtig, dass er für sie alle Kräfte mobilisiert. Neue Informationen, die mit dem einmal gewonnen Urteil oder Bild in Widerspruch stehen, stören dessen Eindeutigkeit und Sicherheit und werden darum instinktiv abgewehrt.
— Eugen Lemberg, Ideologie und Gesellschaft, 1971Weltbild hinterfragen
Und da steht es plötzlich, mein Vorurteil, plantscht unbekümmert im türkisfarbenen Meer, und grinst mich blöde an. Denn ja, ich bin überrascht, dass in einem vermeintlich rückständigen Staat wie der Dominikanischen Republik wichtige Schritte in Sachen Umweltschutz eingeleitet werden. Ich muss auch zugeben, dass jeder, der hier Urlaub macht, auch ich, seinen Teil zu den Müllbergen am Straßenrand, am Strand und im Ozean beiträgt. So verlockend das Türkis der „Dom Rep“ auch ist, ich kann es mir nicht mehr schön reden: Nachhaltig ist diese Reise, dieser Langstreckenflug, ins Paradies nicht.
Und doch hat sie mich geprägt, hat mir dabei geholfen, meine Bilder und meine Vorurteile zu hinterfragen und mir einmal mehr die Frage zu stellen: Wie will ich leben? Und wie will ich reisen, angesichts der Tatsache, dass wir – egal ob Schwellenland oder führende Wirtschaftsmacht – gemeinsam auf ein globales Problem zusteuern? Ich habe einen Teil meiner Blauäugigkeit im Türkis der Karibik verloren.
Quellen:
- http://www.domreptotal.com/dominikanische-republik-umweltministerium-will-plastikverbrauch-in-supermaerkten-reduzieren/
- https://books.google.de/
- http://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190321IPR32111/wegwerfprodukte-aus-plastik-parlament-stimmt-fur-verbot-ab-2021
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https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/dominikanischerepublik-node/dominikanischerepubliksicherheit/206146#targetText=Kriminalit%C3%A4t,die%20Zahl%20bewaffneter%20%C3%9Cberf%C3%A4lle%20zu.
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Lemberg, Eugen, Ideologie und Gesellschaft, Kohlhammer, 1971.